Pech gehabt?




Der Moment, als ich ihn sah und erkannte, war der Moment, in dem es mir fast das Herz zerriss. Ich kannte ihn aus einem Coaching vor ein paar Jahren. Nennen wir ihn Ulli. Ulli war lange als Ingenieur für einen führenden deutschen Konzern in der ganzen Welt unterwegs gewesen und hatte dann, mit Ende 50, diesen Job verloren, wie so viele. Ausgemustert. Kenntnisse nicht mehr ganz aktuell, ein freundlicher, bescheidener Mann, mit beiden Beinen auf der Erde, verheiratet, kinderlos. Kein trainierter Selbstdarsteller. Anfangs gab es viele Vorstellungsgespräche, die wurden weniger und weniger, die Motivation auch. Geblieben sind Optimismus und Gottvertrauen. Und ein Profil im Business Network.

Ich sah ihn einige Zeit später im Fernsehen, als im Rahmen einer Charity Aktion einige Friseure Obdachlosen die Haare schnitten. Ich hab ihn da nicht gleich erkannt. Dann traf ich ihn hier um die Ecke, strahlend erzählte er mir, dass es ihm gut ging. Ich hab den Rucksack und die Schlafmatte und die Paketschnur um die Hose gesehen. Nein, ich hab ihn nicht darauf angesprochen. Stattdessen haben wir zusammen gefrühstückt. Und dann ging jeder seiner Wege.

Diese Woche bin ich zufällig an ihm vorbei gefahren, gebeugt schlurfend, sichtlich verwahrlost, ohne sichtbares Gepäck. Schrecklich - und ich ratlos. Ein Schmerz im Herzen wie ein Messerstich. Atemnot. Fassungslosigkeit.  Möchte ich wirklich in einer Gesellschaft leben, die Menschen  alle Türen zumacht? Die Hilfe nur nach Bloßstellung und mit komplizierten, oft würdelosen Verfahren anbietet? In einem der reichsten Länder der Welt hast du Pech gehabt, wenn du im Alter deinen Job verlierst? Aber nicht, wenn du Schummelsoftware erfindest oder Steuern hinterziehst oder ein beschenkter DFB-Präsident bist. Oh fuck. Es geht um Würde, nichts als Würde.

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